Es ist kurz vor halb acht Uhr morgens. Die Straßen füllen sich mit Kindern. Teilweise mit fröhlichen Gesichtern, teilweise mit etwas ängstlichen. Die erste Schulwoche ist schon wieder vorbei und die zweite auch. Auf dem Schulweg unterhalten sich viele der Kinder, die an meinem Fenster vorbeigehen. Manche blicken zu mir hoch. Einige schauen schnell weg, manche winken mir. Manuel aus meiner Parallelklasse geht auch jeden Morgen an unserem Haus vorbei. Letztes Schuljahr hat er mich immer abgeholt oder ich habe auf ihn gewartet. Er ist nett, aber manchmal auch etwas verrückt. Mama sagt immer, ich solle nicht alles mitmachen, was er macht. Er war auch schon zwei Mal beim Direktor, weil er etwas angestellt hat. Wir fanden das alle lustig. Die Lehrer eher nicht.
Gestern kam meine beste Freundin zu mir. Sie sitzt in der Klasse direkt neben mir. Sie hat mir alles über die erste Schulwoche erzählt. So richtig Lust ihr zuzuhören hatte ich aber nicht. Wir haben angeblich eine neue Klassenlehrerin. Sie soll voll nett sein. Das freut mich, macht mich aber auch traurig. Luisa, meine Freundin, hat vom Wandertag erzählt. Meine Klasse ist zum Lünersee und hat diesen umrundet. Die Klassenlehrerin hatte sogar eine Angel dabei und sie haben was gefangen. Wusste gar nicht, dass man dort angeln darf.
Ich vermisse die Schule. Ich vermisse meine Freunde. Viele sehe ich zwar im Training, aber das ist nur zwei Mal in der Woche. Luisa hat mir versprochen, dass sie immer am Freitag zu mir kommen wird, damit wir zusammen etwas unternehmen können. Heute Nachmittag muss ich wieder lernen. Markus, mein Nachhilfelehrer, kommt. Er ist nett, aber manchmal sehr streng. Wenn ich Dinge nicht verstehe, erklärt er es mir noch einmal. Wenn es sein muss auch drei-, viermal. Das ist schon anders als in der Schule. Ich habe meine Eltern gefragt, wie lange ich zu Hause bleiben muss? Da haben sich beide so komisch angeschaut und meinten nur, dass es etwas länger dauern könnte. Schon komisch, dabei fühle ich mich gar nicht krank.
Heute hat mich Luisa ganz aufgeregt angerufen. Sie hat fast kein Wort rausgebracht. Unsere Klassenlehrerin meinte nur, dass sie heuer nach Kärnten auf Sportwoche gehen würden. Und im Winter öfter mal Skifahren. Schon cool. Ich hoffe, ich kann auch bald wieder dabei sein.
Markus, mein Nachhilfelehrer, fragt mich ab und zu, ob ich traurig bin oder mich einsam fühle so ganz allein den ganzen Tag zu Hause. Ja schon, habe ich ihm geantwortet, auch wenn Mama und Papa versuchen, so viel wie möglich mit mir zu machen.
Gestern nach dem Unterricht mit Markus hat sich meine Mama noch mit ihm unterhalten. Ich hab heimlich gelauscht. Meine Mama ist dabei etwas lauter geworden. Markus meinte nur, dass es nicht gut wäre, dass ich zu Hause bin und nicht in die Schule gehe. Vor allem so abrupt. Er meinte, es gebe viele Eltern, die ihre Kinder schon immer zu Hause unterrichten würden. Das sei aber anders als bei mir. Immer zu Hause unterrichtet werden möchte ich auch nicht. Meine Eltern meinten, es sei ja nur eine Zeit lang. Aber wie lange ist das? Mama kann Dinge gut erklären und wir lernen auch viel miteinander. Papa kann das nicht so gut. Er hat keine Geduld. Mama sagte zu Markus nur, dass das ihre Entscheidung sei, mich zu Hause zu unterrichten. Er solle froh sein, dass er gut bezahlt werde. Ums Geld ginge es ihm aber nicht. Es würde um die fehlenden sozialen Kontakte und um Ereignisse in der Schule gehen, die nicht wieder kommen würden. Das hab ich nicht so richtig verstanden.
Hätten mich meine Eltern gefragt, dann hätte ich mich für die Schule entschieden. Vielleicht fragen sie mich ja. Irgendwann.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen